Interview zum Thema Kopfschmerzen
Welche Arten von Kopfschmerzen gibt es?
Kopfschmerz ist nicht gleich Kopfschmerz!
Die Internationale Kopfschmerzgesellschaft (International Headache Society, IHS) schlägt in der letzten Aktualisierung ihrer Klassifikation aus dem Jahre 2018 über 250 verschiedene Arten von Kopfschmerzen vor.
Die genaue Abklärung und differentialdiagnostische Einordnung von Kopfschmerzen erfordert deshalb eine sehr sorgfältige und umfassende Erhebung der individuellen Krankengeschichte und die Kategorisierung des Verlaufes und der Schmerzcharakteristika nach ganz spezifischen Kriterien.
Wie bekannt, sind Kopfschmerzen überaus häufig. Etwa 4-5% der Bevölkerung leiden unter täglichen, ca. 70% unter anfallsweise auftretenden Kopfschmerzen. In einer epidemiologischen Studie, die 2013 in Deutschland durchgeführt wurde, konnte gezeigt werden, dass Frauen und Bewohner von Städten über 50.000 Einwohner besonders stark betroffen sind.
Je nach Ursache werden Kopfschmerzen in primäre oder sekundäre unterteilt.
Primäre Kopfschmerzen machen etwa 90% aller Kopfschmerzerkrankungen aus. Hierzu zählen beispielsweise Kopfschmerzformen wie die Migräne, der Spannungskopfschmerz und der Cluster-Kopfschmerz.
Was sind die jeweiligen Symptome, wie erfolgt die Diagnose und welche Therapiemöglichkeiten gibt es derzeit?
Die Symptome hängen von der jeweiligen Kopfschmerzerkrankungen ab. In den meisten Fällen kann ein erfahrener Neurologe durch eine strukturierte Erhebung der Krankengeschichte das differenzialdiagnostische Spektrum deutlich eingrenzen. Die Fragen in einem solchen Gespräch richten sich insbesondere nach dem Beginn und Verlauf der Schmerzen, der Dauer, den Schmerzcharakteristika, der Schmerzintensität, der genauen Schmerzlokalisation, den begünstigenden oder schmerzauslösenden Einflussfaktoren, den Begleitsymptomen und einer eventuell vorhandenen familiären Vorbelastung.
So lassen sich die wichtigsten Kopfschmerzarten bereits aus dem Gespräch heraus diagnostizieren.
Ein anfallsartig auftretender starker Kopfschmerz mit einer pochend-pulsierenden Schmerzqualität und einer einseitigen Betonung, sowie dem Auftreten von Begleitsymptomen wie Übelkeit und Erbrechen, sowie Licht- und Lärmempfindlichkeit, weist auf das Vorliegen einer Migräne hin. Jegliche Aktivität führt in der Regel zu einer Verschlechterung. Die Betroffenen neigen deshalb dazu, sich in einen stillen und abgedunkelten Raum zurück zu ziehen.
Wenn zusätzliche neurologische Symptome wie Seh- oder Sprachstörungen, eine einseitige Kraftminderung oder Gefühlsstörung auftreten, wird das Krankheitsbild als Migräne mit Aura bezeichnet.
Hingegen werden Patientenschilderungen von reifenförmig auftretenden, in der Intensität leicht- bis mittelstarken und in der Qualität dumpf-drückenden Schmerzen, die sich unter Aktivität nicht wesentlich verändern, an die Differenzialdiagnose Spannungskopfschmerz denken lassen.
Einer der schlimmsten Kopfschmerzarten ist der so genannte Clusterkopfschmerz. Cluster heißt übersetzt Büschel oder Bündel. Diese Kopfschmerzart trägt ihren Namen deshalb, weil die Anfälle sehr oft in einem Bündel von heftigen, einseitigen Schmerzattacken, die jeweils 10-180 Minuten andauern und sich mehrmals am Tag wiederholen können, auftreten.
Der Cluster-Kopfschmerzen geht oft mit Symptomen wie einer Anschwellung der Augenlieder, einer Gesichtsrötung, Tränen und Nasenlaufen, sowie einer ausgeprägten psychomotorischen Unruhe und Rastlosigkeit einher.
Vor Einleitung einer Therapie ist es selbstverständlich wichtig, die einzelnen Kopfschmerzformen voneinander zu unterscheiden und die richtige Diagnose zu stellen.
Für viele Kopfschmerzerkrankungen gibt es eine Reihe spezifischer Behandlungsansätze, die sowohl medikamentöse wie auch nichtmedikamentöse Maßnahmen umfassen. Für einige Kopfschmerzerkrankungen ist es sogar möglich, bestimmte vorbeugende, prophylaktische Therapien einzusetzen.
Kopfschmerzen müssen immer auch im erweiterten Zusammenhang mit psychischen und sozialen Einflussfaktoren, sowie der aktuellen Lebens-und Arbeitssituation des Betroffenen gesehen werden.
Was versteht man unter dem so genannten „sekundären Kopfschmerz“?
Als sekundär werden jene etwa 8 bis 10% aller Kopfschmerzen bezeichnet, die als Begleiterscheinungen einer anderen Erkrankung auftreten. So können sekundäre Kopfschmerzen beispielsweise bei einer Augendruckerhöhung im Rahmen eines grünen Stars (Glaukom), oder aufgrund einer Funktionsstörung im Bereich des Kiefergelenkes u.v.a. beobachtet werden.
Hier wird selbstverständlich primär die Behandlung der dem Schmerzsyndrom zu Grunde liegenden Grunderkrankung im Vordergrund stehen. Vorübergehend können solche Kopfschmerzsyndrome aber auch mit symptomatischen, schmerzlindernden Medikamenten behandelt werden.
Wann sind Kopfschmerzen harmlos und wie kann man harmlose von gefährlichen Kopfschmerzen unterscheiden?
In den meisten Fällen sind Kopfschmerzen harmlos und kein Grund zur Sorge.
Allerdings gibt es auch Erkrankungen, bei denen Kopfschmerzen ein wichtiges Alarmsignal darstellen. Hier ist eine sofortige und genaue Abklärung zwingend erforderlich.
Wenn hinter einem Kopfschmerz eine gefährliche Erkrankung steckt, dann treten neben dem Schmerz meist weitere Symptome auf.
Fieber und Schüttelfrost in Kombination mit Kopfschmerzen müssen immer im Hinblick auf eine Gehirnhautentzündung abgeklärt werden.
Eine Nackensteifigkeit kann einerseits wiederum bei einer Gehirnhautentzündung, andererseits aber auch bei einer Subarachnoidalblutung zu beobachten sein.
Muskel- und Gliederschmerzen, sowie Schmerzen in den Gelenken und eine anhaltende Müdigkeit weisen auf eine Infektion hin.
Müdigkeit und eine rasche Erschöpfbarkeit, morgendliche Übelkeit, Gedächtnis und Konzentrationsstörungen, sowie eine einseitige Feinmotorikstörung oder zunehmende Kraftminderung und Gefühlsstörung sind Symptome die im Rahmen eines Hirntumors zu beobachten sein können.
Wenn Kopfschmerzen plötzlich einsetzen und besonders heftig ausgeprägt sind, sich in der Qualität von vorbestehenden, bereits bekannten Kopfschmerzen unterscheiden, ist eine Abklärung zum sicheren Ausschluss einer Blutung angezeigt.
Im Zweifelsfall sollte immer ärztliche Hilfe in Anspruch genommen werden. Die Abklärung umfasst dann in der Regel eine körperliche Untersuchung, eine Blutlaboranalyse, die Computertomographie des Gehirnschädels und in einzelnen ausgewählten Fällen auch eine Gehirnwasseruntersuchung.
Zu den gefährlichen Kopfschmerzen muss auch jener Kopfschmerz gezählt werden, der durch den Übergebrauch von Schmerzmitteln entstehen kann. Dieser so genannte Analgetikakopfschmerz ist mittlerweile eine der häufigsten Kopfschmerzarten. Schmerzmittel können zu Gewöhnungseffekten führen, was wiederum viele Betroffene dazu veranlasst, die Dosis zu erhöhen oder die Tabletten häufiger einzunehmen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Die Folgen sind Medikamentenabhängigkeit, sowie Schäden durch Medikamente an den Nieren, der Leber und dem Magen.
Darüber hinaus kann es zu einem paradoxen Phänomen kommen: Schmerzmittel können nach längerer Einnahme zu Veränderungen im Bereich der schmerzverarbeitenden Strukturen im Rückenmark und vor allem im Gehirn führen. Dieses “software-Problem“ in unserem zentralen Nervensystem kann schließlich tatsächlich zu einem eigenen Kopfschmerzsyndrom führen. Kopfschmerzmittel-Übergebrauch kann also die Ursache für ein besonders schwer zu behandelndes Kopfschmerzsyndrom sein.
Sehr oft sind bei diesen Verläufen ein stationärer Entzug mit einer nachfolgenden umfassenden, multidisziplinären und multimodalen Schmerztherapie erforderlich.